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DIE LINKE.: Dieses Evet für Erdoğan ist ein Ja-mit-Denkzettel für seine Präsidialdespotie

An diesem Sonntag waren rund 55 Millionen Wahlberechtigte der Türkei dazu aufgerufen, einer Verfassungsänderung und damit einem Präsidialsystem zuzustimmen oder eine solche Änderung abzulehnen – evet oder hayır. Mit der Entscheidung für das Ja-Lager um die AKP von Präsident Erdoğan soll die Politik der Türkei spätestens ab 2019 auf Erdoğan beziehungsweise den Präsidenten zugeschnitten sein und ihn mit nahezu uneingeschränkter, vor allem aber unkontrollierter Macht ausstatten. Dazu Martina Michels, stellvertretendes Mitglied in der parlamentarischen Delegation EU-Türkei des Europaparlaments:

„Die Entscheidung kann - kurz nach Schließung der Wahllokale - nicht überraschen. Sie zeigt deutlich, dass Erdoğan das Land tief gespalten hat. Mit der massiven Einschüchterung und Benachteiligung der Opposition und der vielfältigen hayır-Bewegung gelang es Erdoğan offenbar, eine hauchdünne Mehrheit der abgegebenen Stimmen für seine Vorhaben einzusacken.“

„Wahlbeobachtende konnten, vor allem im Südosten der Türkei, nicht uneingeschränkt ihrer Aufgabe nachkommen. Es gab neben Ja-Stempeln auf Nein-Stimmen auch die Auszählungen nicht registrierter Wahlscheine. Im Südosten der Türkei kam es mehrfach zur Aufforderung einer offenen Stimmabgabe und auch zu Gewalt und tödlichen Schüssen in Wahllokalen. Schon zuvor wurde bis zu einer halben Million Menschen im Südosten der Türkei durch Erdoğans Krieg gegen die eigene Bevölkerung vertrieben. Viele konnten angeblich nicht rechtzeitig registriert werden, Wahlregister wurden in manchen zwangsverwalteten Kommunen gar nicht erst erstellt. Erdoğan ließ keine Möglichkeit ungenutzt, die Nein-Bewegung einzuschüchtern, oppositionelle Stimmen zu diffamieren, die türkische Medienmaschinerie für sich trommeln zu lassen. Wer nicht für Erdoğan war, dem wurden öffentliche Plattformen entzogen."

Martina Michels hält zum Ausgang fest: „Die neue Machtfülle Erdoğans muss eine Anpassung der Beziehungen zwischen der EU und der Türkei zur Folge haben: Die EU- und die Politik der deutschen Bundesregierung müssen eine offensive und positive Rolle für die türkische Zivilgesellschaft einnehmen, für die Frauenbewegungen, die Opposition und die vielen, verschiedenen Minderheiten. Die Zivilgesellschaft darf nicht alleingelassen werden, wie man es bereits mit den Bewegungen des ‚Arabischen Frühlings‘ tat.“

„Welche Machtfülle Erdoğan auch immer einnehmen und durchsetzen wird, die EU muss für den Schutz aller Teile der Gesellschaft in der Türkei einstehen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten müssen die Waffenexporte in die Türkei einstellen, die Bundesregierung den Abzug der Truppen aus Incirlik einleiten. Außerdem muss endlich der schmutzige Deal zur Flüchtlingsabwehr aufgekündigt und das Geld stattdessen den Organisationen direkt zuteilwerden, um die Hilfsorganisationen und Menschen vor Ort zu unterstützen. Dafür braucht es keinen Pakt mit einem machthungrigen Despoten."

Abschließend kommentiert Martina Michels: "Nun wieder mit dem Aufkündigen der Beitrittsverhandlungen zu drohen, ist weder dafür hilfreich, demokratische Bestandteile in der Türkei zu bewahren, noch um Erdoğan vor weiteren Einverleibungen des Staates abzuhalten. Ein Ende der Beitrittsperspektive bedeutet in aller erster Linie eine Ohrfeige für eben jene Teile der türkischen Bevölkerung, für die es nun demonstrativ Partei zu ergreifen gilt.“

"Wir fordern Erdoğan auf, die Repressalien gegen die politische und gesellschaftliche Opposition sofort zu beenden, um die tiefe Spaltung zu überwinden. Lassen wir uns die Hoffnungen auf eine demokratische Türkei durch den enttäuschenden Ausgang des Referendums nicht nehmen, denn es bedeutet zugleich, dass beinahe die Hälfte derer, die abgestimmt haben, gegen Demokratieabbau votiert haben und ein Präsidialsystem mit Staatsmedien und abhängiger Justiz und einem auflösbaren Parlament deutlich ablehnen.

"Wir fordern Erdoğan auf, die Repressalien gegen die politische und gesellschaftliche Opposition sofort zu beenden, um die tiefe Spaltung zu überwinden. Lassen wir uns die Hoffnungen auf eine demokratische Türkei durch den enttäuschenden Ausgang des Referendums nicht nehmen, denn es bedeutet zugleich, dass beinahe die Hälfte derer, die abgestimmt haben, gegen Demokratieabbau votiert haben und ein Präsidialsystem mit Staatsmedien und abhängiger Justiz und einem auflösbaren Parlament deutlich ablehnen."