ZEW-Umfrage unter Finanzmarktexperten: EU-Status Großbritanniens auch bei Brexit-Mehrheit offen – Londoner City wäre der große Verlierer
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Auch eine Brexit-Mehrheit im Referendum würde den Status Großbritanniens in
der Europäischen Union nicht klären. Denn auch dann existiert eine reelle
Chance von gut 40 Prozent, dass diese Entscheidung später korrigiert wird.
Dies belegt eine aktuelle ZEW-Umfrage unter gut 200 Finanzmarktexperten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Brexit-Mehrheit im Referendum auch
tatsächlich zu einem EU-Austritt führt, geben die Experten im Durchschnitt
mit 58,5 Prozent an. Zudem dominiert die Sichtweise, dass die Briten auch
bei einer Brexit-Mehrheit den Europäischen Binnenmarkt nicht verlassen
werden. Im Durchschnitt wird die Wahrscheinlichkeit für ein Ausscheiden aus
dem Binnenmarkt nur auf gut ein Drittel geschätzt. "Auf Großbritannien
käme mit einer Brexit-Mehrheit eine jahrelange Phase fundamentaler
Unsicherheit über die Zukunft des Landes in Europa zu", warnt Prof. Dr.
Friedrich Heinemann, Leiter des ZEW-Forschungsbereichs
"Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft", angesichts
dieser Umfrageergebnisse.
Ein Sieg für die Gegner Europas im britischen Referendum bleibt der ZEW-
Umfrage zufolge eine realistische Möglichkeit. Die Befragten beziffern
diese Wahrscheinlichkeit mit durchschnittlich 44,1 Prozent. Im zeitlichen
Verlauf der Antworten bestätigt sich nicht, dass die Ermordung der Labour-
Abgeordneten Jo Cox eine starke Trendwende ausgelöst haben könnte: Im
Schnitt der Antworten nach dem tödlichen Angriff wurde die
Wahrscheinlichkeit eines Brexit-Sieges mit 45,3 Prozent sogar geringfügig
höher bewertet als vorher (42,7 Prozent).
Während der britische Status in der EU auch mit Brexit-Sieg am 23. Juni
wohl noch lange ungeklärt bliebe, besteht größere Klarheit über die
unmittelbaren konjunkturellen Effekte. Die britische Wirtschaft, die in den
vergangenen beiden Jahren die Wirtschaft der Eurozone klar geschlagen hat,
würde dann in akute Rezessionsgefahr geraten: Um 44,9 Prozent höher
veranschlagen die Teilnehmer die Wahrscheinlichkeit einer Rezession im
Vereinigten Königreich in den nächsten zwölf Monaten für den Fall einer
Brexit-Mehrheit. "Hinter dem Brexit-Konjunkturpessimismus steckt die
Erwartung, dass heimische und ausländische Investoren in großem Umfang
Investitionspläne für den britischen Standort zurückstellen werden", so
Friedrich Heinemann.
Deutlich gelassener bewerten die Experten die konjunkturellen Folgen einer
Anti-EU-Mehrheit für Deutschland und die Eurozone. Für beide
Wirtschaftsräume sehen die Befragungsteilnehmer nur einen geringen Anstieg
der Rezessionsgefahr.
Bei aller Unsicherheit über die Folgen einer Brexit-Mehrheit steht für
diesen Fall mit dem Finanzplatz London ein Verlierer eindeutig fest: 90,3
Prozent der befragten Finanzmarktexperten rechnen mit negativen oder sogar
sehr negativen Folgen für die City.
Für Rückfragen zum Inhalt:
Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Telefon 0621/1235-149,
E-Mail heinemann@zew.de